Eine Ausstellung des Weltkulturerbes Völklinger Hütte und der Deutschen Kinemathek Berlin.
Noch nie wurde es bislang unternommen, nun wird es Wirklichkeit: Die historische Gebläsehalle des Weltkulturerbes Völklinger Hütte wird Schauplatz einer Gesamtschau des deutschen Films von 1895 bis heute. Großleinwände und Monitore laden ein zum Durchwandern einer einzigartigen Filmlandschaft, die mit dem Expressionismus und Kino der Weimarer Republik Weltgeltung erreicht hat und Kultur und Geschichte Deutschlands wie kaum ein anderes Medium spiegelt.
„Die gemeinsame Ausstellung mit dem Weltkulturerbe Völklinger Hütte ist eine Herausforderung, die wir sehr gerne angenommen haben. Der Ort ist unvergleichlich inspirierend und ermöglicht eine gänzlich neue Form der Präsentation zur deutschen Filmgeschichte. Hinzu kam die ideale Zusammenarbeit der Teams aus Völklingen und Berlin, eine großartige Erfahrung!“ So Rainer Rother, Künstlerischer Direktor der Kinemathek Berlin.
Die Ausstellung des Weltkulturerbes Völklinger Hütte und der Deutschen Kinemathek ermöglicht erstmals einen ebenso umfassenden wie immersiven Blick auf die deutsche Filmgeschichte. Der Bogen der multimedialen Schau spannt sich vom legendären „Wintergartenprogramm“ der Gebrüder Skladanowsky am 1. November 1895 in Berlin – zwei Monate vor den Gebrüdern Lumière in Paris – über den frühen Stummfilm und Tonfilm bis zu aktuellen Formaten und Filmproduktionen von 2023.
Die wissenschaftlich wie ausstellungsinszenatorisch höchst aufwändige Schau zeigt mit über neun Stunden Filmmaterial und mehr als 350 Exponaten aus der Sammlung der Deutschen Kinemathek nicht nur den eminenten Beitrag Deutschlands zur globalen Filmgeschichte. Zugleich spiegeln sich in der Ausstellung Kulturgeschichte und Zeitgeschichte Deutschlands in einer intensiven Parallelspur zur Geschichte der Völklinger Hütte vor, nach, in und zwischen den Kriegen des 20. Jahrhunderts.
„Film ist im besten Fall große Kunst, zugleich aber stets auch Spiegel der Kultur und Zeit seiner Entstehung. Dies macht die Übersichtsschau dreifach bedeutsam und sehenswert: Die Erfahrung von Ästhetik, Kultur und Geschichte fällt hier auf besondere Weise in eins“, betont Dr. Ralf Beil, Generaldirektor des Weltkulturerbes Völklinger Hütte.
Von der Pionierzeit um 1900, dem Ersten Weltkrieg und den 1920-er Jahren der Weimarer Republik über Nationalsozialismus, Zweiten Weltkrieg und die Filmkultur eines in BRD und DDR geteilten Landes bis hin zum gesamtdeutschen Film nach 1990 entfaltet sich in zehn Ausstellungskapiteln ein ebenso bewegtes wie bewegendes Panorama des 20. und 21. Jahrhunderts in Deutschland.
Während rund 100 Projektionen auf Großleinwänden signifikante Filme in exemplarischen Ausschnitten präsentieren, dienen dreißig Monitore weiteren Vertiefungen. So kann der Einfluss von „Caligari“ auf Tim Burtons „Edward Scissorhands“ von 1990 ebenso nachvollzogen werden wie die Nachwirkung von Lotte Reinigers frühem Animationsfilm „Die Abenteuer des Prinzen Achmed“ auf David Yates‘ „Tale of the Three Brothers“ in „Harry Potter and the Deathly Hallows“ von 2010.
Ein eigenes Kapitel ist Fritz Langs wegweisendem Film „Metropolis“ gewidmet: Während der Tanz der Maschinen-Maria im Sündenbabel „Yoshiwara“ – ihr Kostüm aus Strass, Perlen und Federn wird eigens für die Schau nachgeschneidert – mit den Köpfen der Todsünden von Walter Schulze-Mittendorff das Kapitel der Weimarer Republik beschließt, evoziert ein eigener Maschinenraum mit zwei Leinwänden, einem Modell der Unterstadt sowie der Maschinen-Maria-Skulptur samt Großplakat und Kostüme von Freder in Oberstadt-Kleidung und Unterstadt-Arbeiterkluft die „Metropolis“-Welten. Geprägt wurden diese neben dem Regisseur und Kameramann insbesondere von Erich Kettelhut und Aenne Willkomm, deren bahnbrechende Architekturzeichnungen und avantgardistische Kostümentwürfe ebenfalls gezeigt werden.
Die Gebläsehalle mit ihren Maschinen und Schwungrädern wird nicht nur für „Metropolis“ zur kongenialen Ausstellungsarchitektur. Der kommerziell erfolgreichste Film des Dritten Reiches, der NS-Durchhaltefilm „Die Große Liebe“ mit Zarah Leander, ist in einem engen, bunkerartigen Tiefgeschoss zu sehen, die Flügelfiguren aus Wim Wenders „Himmel über Berlin“ dagegen sitzen und stehen in luftiger Hallenhöhe.
Zugleich stellt die Schau an Dreh- und Angelpunkten Filmschaffende aller Gewerke vor und gibt damit Einblicke in Filmstudioarbeit, Filmindustrie und Produktionsprozesse. So wird die entfesselte Kamera der Weimarer Republik mit dem Stachow-Filmer auf freischwingendem Gestell aus „Der letzte Mann“ sowie der Ski-Kamera für „Die weiße Hölle vom Piz Palü“ Realität. Fokus-Vitrinen quer durch die Jahrzehnte sind Monika Bauert, Artur Brauner, Marlene Dietrich, Robert Herlth, Monika Jacobs, Hildegard Knef, Wolfgang Kohlhaase, Asta Nielsen und Guido Seeber gewidmet.
Exemplarisch für deutsche Filmbiografien mit all ihren Verwerfungen steht auf tragische Weise Kurt Gerron: Der Schauspieler, der im „Blauen Engel“ und in „Tagebuch einer Verlorenen“ an der Seite von Marlene Dietrich und Louise Brooks spielt, flieht 1933 vor den Nazis, wird aus Amsterdam mit seinem gesamten Ensemble deportiert und muss im Konzentrationslager den Film „Theresienstadt“ drehen, bevor er in Auschwitz ermordet wird. Fotos und Briefdokumente erinnern an ihn.
Neben filmischen Inkunabeln wie Volker Schlöndorffs „Blechtrommel“ oder Rainer Werner Fassbinders „Angst essen Seele auf“ werden auch weithin unbekannte Raritäten wie Veit Harlans „Der Herrscher“ mit drastischen Stahlwerk-Bildern in Schwarzweiß aus dem Jahr 1937 oder Ula Stöckls sinnlich-befreiender Farbrausch „Neun Leben hat die Katze“ von 1968 präsentiert.
In der direkt an die Gebläsehalle anschließenden Verdichterhalle ist ein Filmstudio der 1950-er Jahre eingerichtet. Gedreht wird dort Géza von Radványis Remake des Leontine Sagan-Films „Mädchen in Uniform“ von 1931 aus dem Jahr 1958 mit Romy Schneider und Lilli Palmer in den Hauptrollen. Das gesamte Bühnenset ist erlebbar: der Nachbau des Klassenzimmers mit Backdrop, Schauplatz der legendären Kussszene von Schülerin und Lehrerin, die Kostüme von Romy und Lilli, Kameras auf Schienenwagen, alles ausgeleuchtet mit den originalen Scheinwerfern der Zeit. Schlusspunkt der Schau zum Deutschen Film ist ein Kino, das auf originalen Kinostühlen mit Schnitt und Gegenschnitt das chronologisch-filmische Gesamtpanorama von 1895 bis 2023 nochmals Revue passieren lässt: als Filmcollage kreuz und quer durch die Zeiten.
Die Ausstellung im einzigartigen Ambiente der Gebläse- und Verdichterhalle des Weltkulturerbes Völklinger Hütte richtet sich dezidiert an ein großes nationales wie internationales Publikum. Wissenschaftlich grundiert, operiert sie zugleich mit einem starken Akzent auf unmittelbarer Filmerfahrung ungemein niederschwellig und wird damit im Weltkulturerbe einen wahrhaft krönenden Abschluss des Jubiläumsjahrs „150 Jahre Völklinger Hütte“ setzen.
Feierliche Eröffnung ist am Samstag, 14. Oktober 2023 um 19 Uhr. In Anwesenheit des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier.
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