Die Heilige Landschaft Pfaffenwinkel führt zu ganz besonderen Orten der Region und zeigt, dass Pilgern mehr ist als langsames Wandern.
„Die Aufzeichnung wurde angehalten“, vermeldet die Fitnessuhr, die Schritte und Geschwindigkeit, Puls, Herzfrequenz und alles Mögliche misst. Als Aktivitätsprogramm ist „Wandern“ eingestellt, doch wir wandern nicht, wir pilgern. Manche sagen, Pilgern sei so etwas wie langsames Wandern, aber das ist nicht einmal die halbe Wahrheit. Pilgern ist weit mehr, auch wenn es zugegebenermaßen langsam vorangeht. So langsam, dass die Fitnessuhr die Aufzeichnung anhält. „Es geht nicht vorrangig ums Laufen, es geht ums Spüren. Ums Fühlen“, sagt Irmgard Deml. Irmgard muss es wissen, sie ist ausgebildete Pilgerbegleiterin. Eine von dreien im oberbayerischen Pfaffenwinkel. Die Voralpenidylle mit ihren 159 Klöstern, Kirchen und Kapellen ist fürs Pilgern wie geschaffen, weshalb die Gegend zwischen Starnberger See und Schongau gleich von drei regionalen Pilgerwanderwegen durchzogen wird.
„Heilige Landschaft Pfaffenwinkel“ heißt das Pilgerwegenetz, das zu ganz besonderen Orten der Region führt. Zum Kloster Andechs auf dem Heiligen Berg. Zum Kloster Wessobrunn mit seiner berühmten Tassilolinde. Zur Wieskirche in Steingaden, einem Weltkulturerbe der UNESCO. Doch es sind nicht nur die Klöster und Kirchen, die den Pfaffenwinkel und seine Pilgerwanderwege ausmachen, sondern auch eine intakte Kulturlandschaft, wie es sie selten gibt. Die Flüsse, die Seen, die Wälder. Und die Berge, natürlich. Peter Frank hat sie schon immer gespürt, diese unsichtbare seelische Kraft hier. Kein Wunder, Frank ist im Pfaffenwinkel aufgewachsen, dennoch braucht es ein besonderes Gespür dafür. Der 42-Jährige hatte nicht nur das Gespür, sondern auch eine Idee. Er wollte die zahlreichen Kraftplätze dieser Gegend durch Pilgerwege verbinden. So entstand die Heilige Landschaft Pfaffenwinkel – drei Mehrtageswanderungen, die alle an einem Punkt, dem Hohen Peißenberg auf 988 Metern, beginnen und von dort in unterschiedlichen Schleifen durch den Pfaffenwinkel führen.
Unsere Tagestour liegt auf der Nordschleife und reicht vom Hohen Peißenberg nach Paterzell. Es ist die erste Etappe von insgesamt sieben, auf zwölf Kilometern geht es vom Berg hinunter und durch den Wald an der Herz-Jesu-Kapelle vorbei zu einem Badesee mit der Jakobsquelle. Es ist eine kleine Gruppe, sechs Menschen, die aus ganz unterschiedlichen Gründen an diesem strahlenden Sonntag zusammengefunden haben und die doch eines eint. Alle wollen sie für sich sein und doch in der Gemeinschaft, sie wollen Ruhe finden und vielleicht auch ein bisschen zu sich selbst. So wie Sieglinde, die aus der Umgebung kommt und die Gegend kennt. „Aber so eine Pilgerwanderung ist dann doch etwas anderes“, sagt sie. Sie habe diese Tour schon lange vorgehabt, immer sei irgendetwas dazwischen gekommen. „Umso glücklicher bin ich, dass es jetzt gepasst hat.“ An Sieglindes Rucksack baumelt ein Maskottchen, ein kleiner Piratenkapitän. „Der begleitet mich seit über 20 Jahren, wir beide haben schon viel gesehen“, sagt sie. Trotzdem gibt es immer wieder Neues. Dieser Sonntag ist für Sieglinde – und ihren Piraten – eine Premiere. Ihre erste Pilgertour. „Ich möchte nicht nur so vor mich hin gehen und von einem Ort zum nächsten wandern“, sagt Sieglinde. Außerdem, gesteht sie, habe sie keinen guten Orientierungssinn und gehe deshalb lieber in der Gruppe. Später am Ziel, vor der gemeinsamen Einkehr im Gasthof Eibenwald, wird Sieglinde noch sagen, dass sie die Pilgertour fortsetzen werde. Nicht hier und heute, aber demnächst. Ganz bestimmt.
Die Heilige Landschaft Pfaffenwinkel gibt es seit 2015, drei Wegschleifen führen in den Norden, den Osten und den Westen. Zu Kirchen, Klöstern und in die vom ersten Schritt an entschleunigende Natur dieser ganz besonderen Voralpenregion. „Sprudelnde Quellen“ heißt die Nordschleife, deren erste Etappe wir an diesem Tag gehen. Insgesamt sind es sieben Etappen und 96 Kilometer, es geht durch einen der größten Eibenwälder Deutschlands zum Ammersee, vorbei an zahlreichen Quellen, die dieser Pilgerroute ihren Namen gaben. Die Ostschleife, „Spiegelnde Wasser“, umfasst acht Tagesetappen und ist mit insgesamt 139 Kilometern die längste der drei Pilgerrouten der Heiligen Landschaft Pfaffenwinkel. Sie ist geprägt vom Starnberger See und den Osterseen sowie den vielen kleineren Gewässern und Weihern. Die dritte im Bunde, die Westschleife „Wilde Flüsse“, ist mit sechs Tagesetappen und 76 Kilometern Gesamtlänge zwar die kürzeste, vom Streckenprofil aber auch die anspruchsvollste Tour. Sie führt durch die wild-romantische Ammerschlucht und das Wiesfilz über den Auerberg (1055 m), dem nördlichsten Berg der Alpen und der höchsten Erhebung im Pfaffenwinkel.
Irmgard Deml begleitet ihre pilgernden Gäste seit Bestehen der Heiligen Landschaft Pfaffenwinkel durch die Nordschleife, zwei Freundinnen und ebenfalls ausgebildete Pilgerbegleiterinnen führen durch die Ost- und die Westschleife. „Jede Route ist anders“, sagt Irmgard, „und natürlich ist auch jede Pilgerbegleiterin anders“. Irmgard ist das Spirituelle wichtig. Sie ist Yoga-Lehrerin und Heilpraktikerin, sie macht Klangmassagen und hat sich in geistiges Heilen und heilsames Singen ausbilden lassen. Was die 59-Jährige nicht hat, ist ein Handy.
„Vu da Weiddn und da Geboagnheidd“ hat sie diesen Pilgertag genannt, von der Weite und der Geborgenheit. Die Weite findet sie auf dem Hohen Peißenberg mit seinen Panoramablick und entlang der Wiesen und Felder, die Ruhe im Wald und die stille Andacht in den Kapellen und kleinen Kirchen am Wegesrand vermitteln Geborgenheit. Immer wieder macht sie Pausen und lädt die Gruppe zu spirituellen Impulsen ein. Das können kurze Gebete und selbstgeschriebene Lieder, aber auch bewusste Schweigephasen, spezielle Körper- und Atemübungen und kleine Yoga-Einheiten sein. „Heilige Landschaft Pfaffenwinkel“ heißt eines ihrer Lieder, in dem sie die das Einzigartige und die Kraft dieser Gegend besingt. „Heilige Landschaft, du Pfaffenwinkel, / du lehrest uns Vieles beim Geh’n, / dass wir dann Dinge in unser’m Leben / plötzlich doch ganz anders seh’n.“, heißt es in einer Strophe. Und mit jedem Kilometer, mit jedem Lied überträgt sich Irmgards Ausstrahlung und heitere Gelassenheit auf die Gruppe, eine ganz eigene Ruhe macht sich breit. Der letzte Blick auf die Fitnessuhr ist Ewigkeiten her. Wahrscheinlich hat sie die Aufzeichnung mal wieder angehalten. Aber das ist längst unwichtig geworden.
Der Pfaffenwinkel repräsentiert als Tourismusmarke die 34 Gemeinden des Landkreises Weilheim-Schongau, der sich zwischen Loisach und Lech, dem südlichen Starnberger See und dem Ammersee erstreckt, sowie die Gemeinde Bad Bayersoien. Besonders charakteristisch sind die zahlreichen Kirchen und Klöster, denen die Region ihren Namen verdankt.
Die Heilige Landschaft Pfaffenwinkel gibt es seit 2015. Sie umfasst drei Mehrtages-Pilgerwanderwege mit insgesamt 21 Etappen und 311 Kilometern. Ausgangs- und Zielpunkt ist jeweils der Hohe Peißenberg, ein bedeutender Wallfahrtsort. Die Nordschleife steht unter dem Motto „Sprudelnde Quellen“ und führt über Wessobrunn und den Ammersee zum Kloster Andechs auf dem Heiligen Berg. Die Ostschleife heißt „Spiegelnde Wasser“ und verbindet so bedeutende Klosterorte wie Polling, Bernried und Benediktbeuern. Die Westschleife „Wilde Flüsse“ führt vom Hohen Peißenberg durch die Ammerschlucht über Rottenbuch zur Wieskirche (UNESCO-Weltkulturerbe), nach Steingaden und weiter über den Auerberg, mit 1.055 Metern die höchste Erhebung im Pfaffenwinkel, ins mittelalterliche Schongau.
Weitere Informationen: Tourismusverband Pfaffenwinkel, Bauerngasse 5, D-86952 Schongau, Tel.: +49 (0)8861/ 211 3200, www.pfaffen-winkel.de, info@pfaffen-winkel.de