Eine Landesgartenschau am Weltkulturerbe – neun Jahre nach der Ernennung steht Corvey bei Höxter wieder im Rampenlicht.

Der Gartenschau-Park liegt quasi der Welterbestätte zu Füßen, dem ältestem Bauwerk Westfalens. Das einzige erhaltene karolingische Westwerk weltweit bildet eine grandiose Kulisse für Höxters Blütenmeer. Und die Jubiläumsfeierlichkeiten „1.200 Jahre Corvey“ sind quasi der Prolog für das umfangreiche Veranstaltungsprogramm der LGS. Die 2014 ernannte erste Welterbestätte Westfalens wird also 2023 erneut in den Fokus gerückt.

Auf dem Weg zum Haupteingang in Corvey passieren die Besucher die Achse der barocken Schlossanlage – vis-à-vis ragt die Fassade des Westwerks in den Himmel. Der Besuch der Gartenschau lässt sich mit einer Besichtigung der einzigen Welterbestätte in Westfalen also ideal verbinden. Zu Füßen der markanten Doppeltürme befindet sich das Herzstück des 31 Hektar großen Gartenschauparks: der Remtergarten, entworfen in Anlehnung an einen mittelalterlichen Klostergarten. Remter ist ein anderes Wort für Refektorium, also für den Speisesaal der Benediktiner.
Corvey war eine bedeutende Reichsabtei im Frankenreich, 822 gegründet als erstes Kloster im sächsischen Raum mit dem Ziel des Festigung und weiteren Verbreitung des neuen Glaubens nach der Christianisierung. Corvey ist also 2023 in doppelter Hinsicht eine Reise wert: 1.200 Jahre Historie verbinden sich mit Blütenpracht. Drinnen die bunten Malereien im Johannischor, draußen das Farbfeuerwerk der Natur im Remtergarten.

Selbstversorgung aus dem Remtergarten
Im Schutz hoher Klostermauern wachsen Gemüse und Heilpflanzen – aufgeteilt nach Indikationen. Hier erfährt der Besucher, wie die Mönche früher ihre Zipperlein kurierten und dass gegen fast alles ein Kraut gewachsen ist. Der Remtergarten zeigt nicht nur die Selbstversorgung im Jahreslauf, sondern auch die Entwicklung des Nutzgartens vom Mittelalter bis zu den urbanen Hochbeeten unserer Tage.

Im sogenannten Küchensaum blühen unzählige essbare Blumen. Prächtige Rosen und Stauden, süße Beeren, seltene Gehölze, duftende Sträucher und die blühende Geophyten-Wiese werden Gartenfans begeistern. „Wir bewegen uns hier gärtnerisch in einer ganz hohen Liga“, sagt Magdalene Winkelhorst, Landschaftsarchitektin bei der Gartenschau.

In Höxter trifft Gartenschau allerorten auf Geschichte. Im Weserbogen in Sichtweite des Welterbes verbirgt sich eine versunkene Stadt. Pompeji? Atlantis? Das wäre maßlos übertrieben. Aber ein kompletter mittelalterlicher Stadtgrundriss, der im Erdreich schlummert – das ist schon ein Glücksfall. Zur Landesgartenschau wird das geschichtsträchtige Gelände zum Archäologiepark, der auch über 2023 hinaus als touristische Attraktion bestehen bleiben und kontinuierlich weiterentwickelt werden soll.

Gegründet von den Corveyer Äbten in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts – 55 Hektar Fläche – zur Blütezeit um die 2.000 Einwohner: Die Stadt Corvey war für mittelalterliche Verhältnisse groß. Sie hatte sogar eine eigene Weserbrücke, einen Stadtrat, prägte Münzen, kassierte Brückenzoll. Die aufstrebenden Nachbarn in Corvey wurden zur unliebsamen Konkurrenz für die Höxteraner. Einer der Gründe, warum sie die Stadt Corvey 1265 überfielen, ausplünderten und niederbrannten – gemeinsam mit Truppen des Bischofs Simon I. zu Paderborn.

Radar und Magnetik ersetzen Grabungen
Für den Archäologen Hans-Georg Stephan war die Stadtwüstung ein Faszinosum: Er führte ab 1970 auf den Feldern und dem ehemaligen Sägewerk am Schloss Corvey Grabungen durch. Heute sind solche Eingriffe in den Boden selten geworden, man benutzt anstelle des Spatens moderne Verfahren wie Radar und Magnetik. „Am besten halten die Funde, wenn sie im Boden bleiben. Ausgraben heißt auch zerstören“, sagt Gartenschau-Archäologe Ralf Mahytka. Zur Landesgartenschau soll die Stadt deshalb in Umrissen und mittels Augmented Reality dargestellt werden. Das fachlich zu begleiten und Funde und Befunde bei Bauarbeiten zu dokumentieren, ist Mahytkas Aufgabe. Kein Pflanzloch wurde ohne seinen prüfenden Blick gegraben.

Eingefasst werden die Darstellungen der mittelalterlichen Stadt mit Holzstegen, auf denen die Besucher zu den einzelnen Stationen gelangen. Hörspiele erzählen in Holzkuben die Geschichten des Ortes, beispielsweise die des berühmten Chirurgen von der Weser, der auf dem Corveyer Marktplatz sogar den Grauen Star gestochen haben soll. In einer Mitmach-Grabung können Kinder unter anderem Nachbildungen seines Operationsbestecks ausbuddeln.

Über den Hellweg durchs Lavendelmeer
Dank moderner Technik erstehen die verfallenen Gebäude auf dem Handy-Display. Zum Beispiel die große Corveyer Marktkirche – ebenso die Mittelalter-Autobahn Hellweg, die hier 15 Meter breit und zweispurig war. Der Hellweg führt bei der Landesgartenschau durch eine bunte Blühwiese, ein Lavendelmeer und eine Obstplantage bis zur einstigen Weserbrücke. Kinder verirren sich im Hanflabyrinth und dass hier zuletzt ein Sägewerk stand, daran erinnert noch ein Abenteuerspielplatz für Kinder – mit dem ehemaligen Spänebunker als Rutsch- und Kletterturm.
Das weitläufige Gartenschaugelände verbindet den Weserbogen und Corvey mit der Stadt Höxter längs des Weserufers. Entlang der üppigen Flussaue geht es von Corvey aus in Richtung Innenstadt – vorbei an einer 160 Meter langen Flechthecke durchs Tagliliental zur höher gelegenen Weserscholle – einer Picknick-Wiese hoch über dem Strom. An der Flusspromenade entsteht mit 70 Metern die längste Sitzbank Nordrhein-Westfalens, alternativ reichen Sitzstufen direkt hinunter an den breiten Strom. Von hier aus ist es nur ein Katzensprung zur historischen Wallanlage, die ein blühendes Band um die Altstadt bildet. Im Schatten alter Bäume verbergen sich die Hausgartenbeispiele und die Beiträge der Friedhofsgärtnereien. Das verwunschene Gemäuer mit seinen Türmchen und Winkeln ist gesäumt von Staudenbeeten. Hier können Kinder auf großen Spielplätzen in die Welt des Mittelalters und der Märchen eintauchen.

Mehr als zwei Kilometer liegen zwischen Höxters Altstadt und Corvey – Besucher können sich auf Wunsch per Schiff am Gartenschaupark entlangschippern lassen (bei ausreichendem Wasserstand) oder alternativ das Bimmelbähnchen nutzen.

Die Landesgartenschau in Höxter ist vom 20. April bis zum 15. Oktober 2023 geöffnet. Tageskarten kosten für Erwachsene 19,50 Euro (ermäßigt 17,50 Euro), Kinder zahlen 2 Euro.
www.landesgartenschau-hoexter.de