Wittenberg. – Jahrhundertelang verbreitete die Pest Angst und Entsetzen. Bis heute hat sie Spuren in der abendländischen Kultur hinterlassen und das kulturelle Gedächtnis Europas tief geprägt. Zugleich ist die Menschheitserfahrung Pest aber auch ein Beispiel für den Sieg über die Seuchen und die Furcht vor ihnen. Die Geschichte der Pest ist daher auch eine Geschichte der Angst und ihrer Überwindung. „Pest. Eine Seuche verändert die Welt“ erzählt genau diese Geschichte, von der Steinzeit bis heute. Sie behandelt die drei großen Pestpandemien, aber vor allem die Reaktionen auf das massenhafte Sterben. Wie verhielten sich die Menschen im Angesicht dieser existenziellen Bedrohung? Wie erklärten und deuteten sie die Krankheit, die Millionen den Tod brachte? In welcher Zeit wurden welche Strategien verfolgt, um die Pest physisch und psychisch zu bewältigen? Und: Können wir aus diesen Erfahrungen auch heute Nutzen ziehen?

Zum ersten Mal beschäftigt sich zudem eine Sonderausstellung mit dem Pestgeschehen in der Zeit der Reformation und der Konfessionalisierung.

„Das Thema ‚Pandemie‘ ist natürlich ein hochaktuelles“, sagt Dr. Stefan Rhein, Direktor der Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt. „So lag es für uns auf der Hand, uns auch dem Vergleich von Pest und Covid19 zu stellen und sowohl die Unterschiede als auch die Ähnlichkeiten zwischen beiden Seuchen darzustellen.“ Gerade an der Pest lässt sich zeigen, dass viele der heutigen Maßnahmen bereits vor Jahrhunderten wirksam waren. Wer die Wittenberger Pestordnung von 1566 liest, fühlt sich an die Coronaschutzverordnungen 2020/21 erinnert: Quarantäne, Gesundheitspässe, Abstands- und Hygienegebote – alles keine Erfindungen der Gegenwart. Viele Methoden zur Seuchenabwehr, die zu Pestzeiten entwickelt wurden, werden noch heute wirksam eingesetzt.

Der Blick zurück geschieht immer mit dem Vergleich zu Heute. So werden etwa ein Fledermauspräparat und ein Rezeptbuch für Fledermaussuppe dem Alkoholpräparat eines „Rattenkönigs“ in Beziehung gesetzt und stehen für die Gerüchte, Corona sei durch den Verzehr von Fledermaussuppe auf dem Großmarkt in Wuhan auf den Menschen übertragen worden. Die Pest wird dabei zu einem fernen Spiegel für die Gegenwart: Die Geschichte zeigt, dass viele Begleiterscheinungen wie beispielsweise Verschwörungsglauben, Überreaktionen oder die Suche nach Sündenböcken nicht erst in der Moderne entstanden sind, sondern schon vor Jahrhunderten. Und sie zeigt, dass Seuchen auch eine starke psychologische Seite haben, die sich Ventile sucht. Damals wie heute gilt, die Ängste der Bevölkerung nicht zu ignorieren und zugleich Verschwörungserzählungen zu bekämpfen.

Die Sonderausstellung präsentiert in acht Themenbereichen über 130 Exponate und sieben Video- und Audioinstallationen im sogenannten Bibliothekssaal und den angrenzenden Räumen im Erdgeschoss des Augusteums in Wittenberg. Zu den Highlight-Objekten der Schau zählen beispielsweise der „Pestschinken“ aus Friesoythe, anatomische Drucke aus dem Besitz des Reformatorensohns Paul Luther, die von Martin Luther eigenhändig kommentierte Wittenberger Beutelordnung oder Funde aus dem „Alchemistenlabor“ in Wittenberg.

Die Sonderausstellung wird von einem umfangreichen Vermittlungs- und Veranstaltungsprogramm ergänzt.

www.martinluther.de