Mit einer neu veröffentlichten Website Berlins wichtigsten Beitrag zur Architekturgeschichte digital erkunden.

Es geht um die 1920er-Jahre, eine Dekade, die Berlins Selbstverständnis und Fremdbild bis heute prägt. Auch im Wohnungsbau wurde Neuland betreten. Wie es dazu kam, schildert und illustriert diese Website, bei der man sich leicht festlesen kann. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war Berlin eine der spannendsten Metropolen der Welt. Die als tolerant und weltoffen geltende Stadt war ein Zentrum moderner Kunst, Kultur und Industrie. Und sie platzte aus allen Nähten. Durch den Ende April 1920 beschlossenen Zusammenschluss Groß-Berlins taten sich neue Chancen auf, die grassierende Wohnungsnot zu lindern und die oft katastrophal beengten Lebensverhältnisse der unteren und mittleren Einkommensschichten zu verbessern. Dank kluger Politik wurden außerhalb der einstigen Stadtgrenzen aufgelockerte, mit vielen Grünflächen geplante Wohnanlagen errichtet, die weltweit Standards im Wohnungs- und Städtebau setzten.

2008 wurden sechs besonders herausragende, zwischen 1913 und 1934 entstandene Ensembles zum UNESCO-Welterbe erklärt.  Dies hebt sie in den Rang von Stätten mit herausragendem und universellem Wert für die Menschheitsgeschichte. Berlins jüngstes Welterbe umfasst die Gartenstadt Falkenberg, die Siedlung am Schillerpark, die Britzer Hufeisensiedlung, die Wohnstadt Carl Legien, die Weiße Stadt in Reinickendorf und die Ringsiedlung Siemensstadt. Ihre politische und gestalterische Umsetzung lieferte Antworten auf drängende Fragen, die sich angesichts der Industrialisierung in vielen Metropolen Europas stellten.

Fast dieselben Fragen sind angesichts des fortschreitenden Wertewandels, Wohnraummangels sowie sozialer, ökologischer und aktueller gesundheitlicher Verunsicherung auch für die jüngere Generation wieder hochaktuell: Wie wollen wir wohnen und leben? Was macht gute Architektur aus? Was kann die Politik für die Menschen tun? Dieses geschichtlich facettenreiche Thema greift die Website auf und vermittelt es in einer Form, die sich speziell an Jugendliche und junge Erwachsene richtet. Die auch gut am Smartphone nutzbare Anwendung lädt auf Basis interaktiver, rotierbarer Karten zu eigenen Rundgängen und Erkundungen durch die sechs „Siedlungen der Berliner Moderne“ ein. Neben vielen Fotos, Fakten und Geschichten über die denkmalgeschützten Ensembles greift die Website historische Themen auf und stellt aktuelle Bezüge her. Sie kombiniert dies mit Aufgaben, die den eigenen Blick schärfen und sich auch gut für den Einsatz in der Jugend- und Erwachsenenbildung eignen – oder eben auch zur Horizonterweiterung in Zeiten von Corona. Dazu präsentieren die Autoren, Hintergrundinfos aus den gestalterisch, sozial und politisch bewegten 1920er-Jahren. Komplettiert wird das Ganze durch eine Einführung in die Berliner Stadtgeschichte, die bewegten Biografien der Planer und Bewohner plus ein umfangreiches Glossar.

Auch wenn die sechs als Welterbe geadelten Ensembles vor dem Hintergrund des vor 100 Jahren erfolgten Zusammenschlusses Groß-Berlins entstanden, so ist das Thema weder eine reine Berliner Angelegenheit, noch ein vergängliches Jubiläumsprojekt. Die zur Jahrhundertwende und nach dem Ersten Weltkrieg vielerorts herrschende Wohnungsnot und die Notwendigkeit der Errichtung neuer Wohnquartiere steht exemplarisch für die Herausbildung der modernen europäischen Stadt und ist somit auch länder- und kulturübergreifend relevant. Dazu passt, dass die auf Deutsch und Englisch verfügbare Website im Rahmen des Sharing Heritage-Programms des Europäischen Kulturerbejahrs  2018 gemeinsam aus Bundes- und Landesmitteln finanziert wurde.
www.welterbe-siedlungen-berlin.de